Rote Hilfe Zeitschrift 1/2011

Repression auf psychischer Ebene

Über potentiell traumatisierende Folgen von Polizei- (und anderer) Gewalt und wie wir da wieder rauskommen.

…von Out of Action

Wer Widerstand leistet gegen den kapitalistischen Normalzustand ist häufig mit Repression konfrontiert. Diese kann viele verschiedene Gesichter haben: gewalttätiges Vorgehen der Polizei, juristische Kriminalisierung, Überwachung oder Einsperrung. Ebenso vielfältig sind die negativen Folgen von Repression oder auch von Konfrontationen mit Nazis: neben leicht greifbaren Auswirkungen wie einer blutigen Nase oder finanzieller Belastung durch Prozesskosten gibt es auch weniger offensichtliche Auswirkungen wie emotionalen Stress bis hin zu einem psychischen Trauma.

Die Staatsmacht weiß diesen Effekt zu nutzen: Über die Traumatisierung Einzelner soll allgemein von politischem Widerstand abgeschreckt werden, indem ein Gefühl von Handlungsunfähigkeit und Ohnmacht gegenüber staatlicher Herrschaft erzeugt wird. Die Betroffenen ziehen sich häufig aus der Bewegung und auch aus ihrem persönlichen Umfeld zurück, wenn sie keine Unterstützung bei der Bewältigung des Erlebten erhalten.

Genau so wie Demosanis, Ermittlungsausschüsse und die Rote Hilfe als schon lange in der emanzipatorischen Linken etablierte Gruppen gegen die Auswirkungen von Repression vorgehen, so kämpft auch die Emotionale Erste Hilfe-Gruppe Out of Action seit über 5 Jahren für einen solidarischen Umgang miteinander. Rückblickend können wir feststellen, dass sich ein offenerer Umgang mit dem Thema der staatlichen Repression auf psychischer Ebene etabliert hat und Menschen immer besser aufgefangen werden.

Im Folgenden stellen wir noch einmal die möglichen Auswirkungen von emotionalem Stress vor und geben Tipps für den Umgang damit. Einige der unten beschriebenen Reaktionen auf emotionale Belastung mögen den Leser_innen bekannt vorkommen, doch längst nicht jedes heftige Erlebnis führt zu einem Trauma. Das ist sozusagen das „worst case szenario“. Gleichzeitig ist es nie zu früh, auf sich selbst und die Mitmenschen zu achten und einen konstruktiven Umgang mit emotionalen Belastungen zu finden.

Was ist ein Trauma?

Im Prinzip kann jede gefährliche Situation, in der eine Person handlungsunfähig ist oder sich so fühlt, einen traumatisierenden Effekt haben. Der Verlust über die Kontrolle einer Situation löst einen massiven Stresszustand aus, für den es kein Ventil gibt. Das Bild von sich selbst als Menschen mit Handlungsmöglichkeiten in einer beeinflussbaren Welt wird erschüttert.

Die überwältigende Situation muss nicht selbst erlebt sein – auch die Ohnmacht, einem anderen Menschen nicht helfen zu können kann als Trauma wirken. Manchmal reicht es sogar aus, sich durch Erzählungen mit den Erlebnissen Anderer auseinanderzusetzen. Ebenso kann ein altes Trauma aufgrund eines Auslösereizes in der Gegenwart (ein sog. Trigger) aktiviert werden. Ist der Mensch wieder diesen Gefühlen ausgeliefert ohne sie zu bewältigen, kann die Erinnerung erneut traumatisch wirken. So kommt es vor, dass auch durch weniger heftige Situationen in der Gegenwart plötzlich alte schlimme Erlebnisse beispielsweise aus der Kindheit wieder hochgeholt werden und darauf eine traumatypische Reaktion erfolgt.

Folgen von emotional belastenden Erlebnissen

Nach einer potentiell traumatischen Erfahrung befindet sich ein Mensch in einem „psychischen Schockzustand“, der mehrere Wochen anhalten kann. Alles ist durcheinander, man fühlt sich betäubt, verletzt, unterliegt Stimmungsschwankungen (unkontrolliertes Weinen, Aggressionsausbrüche etc.), mag ständig oder gar nicht über das Erlebte sprechen, hat das Gefühl, neben sich zu stehen oder die Umwelt nur noch verschwommen wahrzunehmen, kann nicht schlafen, hat Alpträume, der Körper steht unter Spannung. Dies sind ganz normale Reaktionen auf ein außergewöhnliches Erlebnis.

Im Extremfall klingen die Reaktionen nicht nach einiger Zeit ab, sondern manifestieren sich zu einem Trauma. Dies kann auch lange Zeit nach dem traumatischen Ereignis auftreten und steht nicht unbedingt im unmittelbar erkennbaren Zusammenhang damit.

Zentrales Element psychischer Traumata ist die Spannung zwischen dem Wunsch, schreckliche Ereignisse zu verleugnen und dem Wunsch, sie laut auszusprechen. Durch sozialen Rückzug und depressives „Nicht-Fühlen“ wird Kontakt mit möglichen Auslösereizen vermieden, Rauschmittel und süchtiges Essen dienen der Betäubung. Selbstverletzendes Verhalten bietet ein Ventil für die innere Spannung oder die Möglichkeit, doch wieder etwas zu fühlen und den Körper zu spüren. Hinzu kommen können Unruhe, Schlafstörungen, Panikattacken und Angst. Das traumatische Erlebnis bahnt sich häufig durch Albträume und Flashbacks den Weg zurück ins Bewußtsein. Belastend ist auch das Gefühl, nicht wie gewohnt „zu funktionieren“ und keine Perspektive zu sehen. Es scheint, als ginge diese Phase nie vorbei (das tut sie in den meisten Fällen aber doch!)

Charakteristisch für die Folgen von Traumatisierung ist, dass es zu Schuldzuweisungen sich selbst gegenüber oder untereinander kommt. „Hättest du/ hätte ich das und das nicht gemacht, dann hätten uns die Bullen nicht angegriffen…“. Weil die staatlichen Schläger nicht so leicht unter Kontrolle zu bringen sind, disziplinieren wir uns gegenseitig. Dies kann eine Verarbeitung der Ohnmacht sein (zu unterscheiden von den sehr sinnvollen Problemanalysen in einer Nachbesprechung), da so wieder der Eindruck von Kontrolle entstehen kann. Entsolidarisierung und Angst vor aktivem Widerstand können eine unschöne Folge dieses Mechanismus sein.


Einen Umgang finden

Traumatische Erfahrungen können zwar nicht immer verhindert werden, wir können uns aber dagegen wappnen, dass sie uns lähmen. Der beste Schutz vor den langfristigen Folgen einer Traumatisierung ist ein soziales Klima, in dem selbstverständlich über Gefühle und Erlebtes gesprochen wird. Angst ist eine verständliche Reaktion auf die Gewalt, mit der wir konfrontiert sind. Das Verschweigen von Gefühlen wie Furcht, Trauer und Ohnmacht kann dazu führen, dass traumatische Erlebnisse nicht aufgearbeitet werden.

Langfristig leiden viele Betroffene von staatlicher Gewalt mehr unter den emotionalen Folgen, als unter körperlichen Verletzungen. Besonders niederschmetternd ist es, wenn die Betroffenen mit ihren Gefühlen alleine gelassen werden, das Umfeld kein Verständnis hat und keine Unterstützung leistet. Dies kann eine emotional noch größere Erschütterung sein als Gewalterfahrungen durch die Polizei. Wenn wir von unserem Umfeld keine Solidarität erfahren, wankt das Weltbild. Ganz praktisch hilft die Bildung von Bezugsgruppen, in denen bereits vor einer Aktion ehrlich darüber geredet wird, wie es den Einzelnen in der Gruppe geht und wo die Grenzen liegen. Die Gruppe sollte besprechen, wie eine Person unterstützt werden kann, die während einer Aktion „raus“ will. Nach einer Aktion ist eine Nachbereitung zu empfehlen, in der es Raum gibt, um das Erlebte und die damit zusammen hängenden Gefühle zu besprechen.

Trotz aller Achtsamkeit gegenüber Anderen und sich selbst kann sich aus den Folgen eines heftigen Erlebnisses heraus ein Trauma entwickeln. Die Begleitung eines Menschen bei der Bewältigung eines tatsächlichen Traumas ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die viel Kraft von den Unterstützer_innen erfordert. Der Heilungsprozess verläuft selten gradlinig, er dauert meist lang und beinhaltet einen häufigen Wechsel von Auf und Ab. Die Konfrontation mit den Themen und der dem Trauma immanenten Energie birgt die Gefahr, selbst auszubrennen und an Traumafolgen zu leiden. Oft ist es auch für Unterstützer_innen gut, sich Hilfe zu holen oder zumindest mit anderen darüber zu sprechen. Vor allem in der Begleitung schwer traumatisierter Menschen ist es unerlässlich, für das Gehörte und „Mitertragene“ Ventile zu suchen und gut für sich zu sorgen.


Die Frage nach professioneller Hilfe

Ob und wann ein Zeitpunkt erreicht ist, an dem es nicht mehr ausreicht, die Folgen einer psychischen Belastung ausschließlich im politischen Umfeld oder Freundeskreis aufzuarbeiten, müssen Betroffene individuell entscheiden. Eine psychische Verletzung kann letztendlich genauso von professioneller Seite her behandlungsbedürftig sein, wie eine körperliche auch.

Psychotherapie ist eine Leistung der Krankenkasse. Es werden aber nur tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie und Psychoanalyse finanziert. Um den/die Therapeut_in prüfen zu können, bezahlen die Kassen Erstgespräche. Erst dann muss ein Antrag auf Finanzierung der Behandlung gestellt werden. Diese Zeit sollte genutzt werden, dem/der Therapeut_in Löcher in den Bauch zu fragen über Arbeitsweise, Einstellungen und was sonst noch relevant erscheint. Die Therapeut_innen sollten aufgeschlossen und akzeptierend gegenüber der gewählten Form politischer Aktivität sein und diese nicht als Autoaggressivität oder ungeklärte Autoritätskonflikte missinterpretieren. Eine solch negative Bewertung von politischem Widerstand und Militanz birgt die Gefahr von Schuldzuweisungen für das Erlebte. Deshalb sollte die Auswahl des Therapeuten/der Therapeutin sorgfältig erfolgen.


Dem Geschehenen eine Bedeutung verleihen

Traumatische Erlebnisse können nicht ungeschehen gemacht werden, doch ein konstruktiver Umgang mit ihnen kann deren negative Folgen abschwächen. Eine Möglichkeit ist, individuelle Gewalterfahrungen gemeinsam öffentlich zu machen, soweit den Beteiligten dadurch keine (juristischen) Nachteile entstehen. Das Geschehene gewinnt eine Bedeutung, sowohl für einzelne Betroffene als auch für eine politische Bewegung. Und es zeigt anderen Betroffenen, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht alleine sind. Ganz praktisch kann das eine Plakataktion gegen Prügelbullen sein oder die Verschriftlichung von im Gefängnis gemachten Erfahrungen. Der Fantasie sind da kaum Grenzen gesetzt.

Gleichzeitig ist es wichtig, einem immer noch weit verbreiteten Leistungsdruck entgegen zu wirken. Genau so gut wie die Idee, traumatische Erfahrungen wiederum in politische Aktionen umzusetzen ist es, einfach mal Pause zu machen. Einfach mal bewußt nicht „zu funktionieren“. Es ist ein auch innerhalb der Linken durchaus weit verbreitetes Merkmal der kapitalistisch organisierten Gesellschaft, ständig Leistung erbringen zu müssen und fehlende Ergebnisse individuellem Versagen zuzuschreiben. So wichtig die Bekämpfung des kapitalistischen Normalzustandes ist, so wenig sinnvoll ist es, wenn Menschen dabei auf der Strecke bleiben und wesentlich Elemente dessen, was wir bekämpfen wollen, reproduziert werden.